Das Leben des Lottogewinners

Herr Bürzel spielte gerne Lotto. Jeden Samstag und jeden Mittwoch ging er zu einer Lotto - Annahmestelle und füllte einen Schein aus, von dem er sich einen Gewinn versprach. Herr Bürzel arbeitete in einem kleinen Geschäft für kitschige Geschenkartikel, und er war es leid. Immer diese komischen Leute, die anderen komischen Leuten komische und nutzlose Geschenkartikel schenkten. Die standen dann bei den Beschenkten völlig nutzlos herum und nahmen Platz weg. Und solchen Leuten begegnete Herr Bürzel jeden Tag. Er war ein freundlicher Mensch, und keiner wusste, wie sehr diese Umgebung ihm an den Nerven zerrte. Aber er hatte ja einen Ausgleich. Er spielte Lotto. Beim Lotto wusste er nicht, ob die Vorhersage mit den tatsächlich gezogenen Zahlen übereinstimmte. Es blieb einfach dem Zufall überlassen. In dem Laden, in dem er arbeitete, stimmte jedoch seine Vorhersage zu der Nutzung der Gegenstände, die er verkaufte, immer mit der tatsächlichen überein. Es war mal wieder Mittwoch, und in der Mittagspause spazierte Herr Bürzel gemütlich zur Lotto-Annahmestelle um die Ecke. Es war diese Woche ein großer Gewinn ausgeschrieben, Jackpot nannte die Lotterie das. Wie jedes Mal nahm er wortlos einen Schein aus dem Regal und kreuzte sechs Zahlen auf jeweils vier Feldern an. Der Besitzer des Lottoladens kannte ihn schon, und die Floskeln waren natürlich unvermeidlich. "Ach, Herr Bürzel, wollen sie es mal wieder wissen." Er antwortete lakonisch: "Ja, wieder mal." Genervt verließ Herr Bürzel den Laden und aß trotz Sonnenschein und sauberer Parkbank frustriert sein Vesperbrot. Er malte sich aus, was er wohl mit so einem großen Gewinn anfangen würde. Ein Haus, ein Auto, ein Computer, eine Stereoanlage, und noch ein Auto. Herr Bürzel schmiss das Vesperbrot weg. Sein Leben war flach. So flach und einfach, so regelmäßig, so gewöhnlich. Jeden Tag im Laden und im Urlaub stets auf Balkonien. Seine kleine Wohnung war einfach, gewöhnlich und zweckmäßig eingerichtet, als Verkäufer verdiente man ja nicht viel. Deshalb konnte er sich auch nichts leisten - und er wollte es auch gar nicht. Trotzdem war er mit seinem Leben schlichtweg unzufrieden. Auch das Lottospiel war längst zur reinen Routine geworden, flach, einfach, gewöhnlich. Gewänne er, wären selbst seine Wünsche flach und gewöhnlich. Da wurde ihm schlecht. Als er betrübt zum Geschenkeladen zurücklief, sah er eine humpelnde Taube, die nach Krümeln pickte. Sie flatterte ein paar Meter weiter und humpelte dort. Er sah, dass sie einen Greif weniger hatte und deshalb nicht richtig laufen konnte. Dann flatterte sie wieder ein paar Meter weiter und landete direkt auf seinem Vesperbrot, das er gerade eben weggeschmissen hatte, weil ihm vor lauter Flachheit schon übel wurde. Die humpelnde Taube hatte sich direkt daraufgesetzt und pickte daran herum. Er fand es nur noch merkwürdig und lief schnell zur Arbeit zurück. Dort angekommen, vergaß er das Gesehene ganz schnell und fand gleich in den alten Trott zurück. Ein humpelnder Mann, ungefähr vierzig Jahre alt, betrat den Laden und kaufte sich einen Hahn aus Keramik. Er bezahlte mit einem Fünfhunderter, aber das war auch schon alles, was Herrn Bürzel auffiel. Er dachte wieder nur an das, was der Mann jetzt wohl mit dem Hahn machen würde. Und wieder lag er damit vollkommen richtig. Nach der Arbeit saß Herr Bürzel allein zuhause vor einem Glas Wein und versuchte, etwas fröhlicher zu werden und sein langweiliges Leben zu genießen. Doch auch jetzt lastete die Flachheit auf ihm. So als ob sein Leben nur zweidimensional sei. Gelangweilt und leicht depressiv ging er schlafen. Am nächsten Tag ging er wie üblich in der Mittagspause in den Lottoladen und ließ seinen Schein überprüfen. Der Besitzer sagte plötzlich leise: "Jackpot." Herr Bürzel erschrak. "Wie bitte?" fragte er. Und der Ladenbesitzer sagte, völlig außer sich, "Sie haben den Jackpot geknackt, Herr Bürzel!!" Dann schob er Herrn Bürzel ein Formular zu, das er ausfüllte. Völlig neben sich stehend verließ er den Lottoladen und dachte ständig darüber nach, ob ihn nicht jemand einfach auf den Arm nehmen wollte. Er ging weiter arbeiten. Nach zwei Tagen klingelte es abends plötzlich an der Türe und ein Mitarbeiter der Lotterie stand mit einem Koffer vor seiner Wohnung. Nachdem die Formalitäten erledigt waren und er beschlossen hatte, ein Konto einzurichten mit dem Millionengewinn, konnte er nicht mehr einschlafen. "War es das, was ich wollte?!" fragte er laut die Wand. Was sollte Herr Bürzel jetzt nur mit den Millionen machen?? Müde und mit den Nerven am Ende ging er wie gewohnt zur Arbeit. Das hatte ihm schließlich der Besitzer des Lottoladens und der Mitarbeiter der Lotterie empfohlen. Und Herr Bürzel befolgte, wie immer in seinem langweiligen Leben, gerne einen guten Rat. Es war wenig los im Laden, als wieder der humpelnde Mann den Laden betrat. Herr Bürzel sah ihn und dachte sofort an den Hahn und was der Mann damit ganz sicher gemacht hatte. Doch dieses Mal sollte alles ganz anders kommen. Der humpelnde Mann wollte nichts kaufen. Er zog plötzlich eine 44er Magnum und schoss Herrn Bürzel damit sehr schnell hintereinander dreimal in den Kopf. Dann humpelte er aus dem Laden. Er wusste, wo Herr Bürzel wohnte. Er hatte die Kontonummer. Und einen gefälschten Ausweis. Herr Bürzel war jetzt tot. Und keiner weinte ihm eine Träne hinterher.

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